Kommunikationsflüsse verbessern - wie?

veröffentlicht am 08.06.2022

Netzwerke statt hierarchischer Strukturen

Veränderte Rahmenbedingungen führen zu notwendigen Anpassungen an Organisationsstrukturen. Das haben wir ganz eindrücklich in den letzten zwei Jahren erfahren. Schon vor der Pandemie haben viele Unternehmen ihre Abteilungen umstrukturieren wollen, um Hierarchie abzubauen und Kommunikation zu verbessern. Während der Lockdowns mussten viele Führungskräfte feststellen, dass auf dem Papier vorgeschriebene Berichtsstrukturen in der neuen Realität nicht funktionieren. Wenn Informationen geflossen sind, dann häufig innerhalb schon vorher etablierter sozialer Netze.

Damit sind jedoch nicht etwa "social media / networks" gemeint, sondern Beziehungsgeflechte, die sich innerhalb des Unternehmens über Abteilungs- und Silogrenzen bereits in der Vergangenheit gebildet haben. Aufgrund - in vielen Fällen trotz - der Strukturen, die im Organigramm vorgegeben sind - der Volksmund kennt diese Beziehungsgeflechte unter anderem als "kleine Dienstwege".

Diese Netzwerkstrukturen bilden sich in der Regel spontan und anlassbezogen aus: Man ist auf der Suche nach Informationen und wird irgendwann bei einer Person fündig. Bei der nächsten Gelegenheit wird der Kontakt aufgrund der positiven Erfahrung erneut gesucht und irgendwann hat sich die Beziehung gefestigt, ähnlich wie sich die Synapsen in einem neuronalen Netz bei Mehrfachgebrauch dicker ausprägen.

Beobachtungen zeigen, dass Mitarbeitende ihre Netzwerke suchen, um Informationen zu finden und Probleme zu lösen. Wie kann eine Unternehmensführung sich diesen Umstand zu Nutze machen?

Organisationen analysieren

Sobald wir akzeptiert haben, dass Netzwerke innerhalb von Organisationsstrukturen effektiver und vor allem schneller wirken können, als der Weg durch Hierarchien bzw. Silogrenzen, wird klar: Wir müssen alles dafür tun, dass diese Netzwerke sich ausprägen können.

Doch wie lässt sich ein bestehendes Netzwerk untersuchen und wie findet man heraus, ob ergriffene Maßnahmen zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit geführt haben? Die Antwort lautet Social bzw. Organisational Network Analysis oder eben auf Deutsch die Soziale Netzwerkanalyse, "eine Methode der empirischen Sozialforschung zur Erfassung und Analyse sozialer Beziehungen und sozialer Netzwerke." (Wikipedia).

Ohne hier in die wissenschaftliche Tiefe gehen zu wollen, lässt sich Methode kurz gefasst so vorstellen: Man stellt eine Umfrage zusammen, deren Einzel-Fragen den Untersuchungsgegenstand zum Thema haben, z.B.

  • Mit welchen Kollegen aus anderen Abteilungen hast Du regelmäßig fachlichen Austausch?
  • Mit wem arbeitest Du regelmäßig zusammen?
  • Wen kontaktierst du, wenn Du Fragen zu Thema X hast?
  • usw.

Dazu können die entsprechenden Personen in der Umfrage als Antwortoption ausgewählt werden. In der Auswertung der Umfrage ergeben sich nun Beziehungen zwischen Personen, also den Beteiligten des Systems, die grafisch dargestellt werden können. Dabei zählt u.a. anderen die Anzahl der Beziehungen eine Rolle, ob die betreffenden Personen sich gegenseitig genannt haben und einiges mehr.

Die Erkenntnisse aus der Netzwerkanalyse sind vielfältig: Wo findet über Organisationsgrenzen hinweg Kollaboration statt? Welche Personen des Netzwerkes fungieren als "Brückenbauer" zwischen Abteilungen? Wo funktionieren Kommunikation und Zusammenarbeit heute gut, wo bestehen Engpässe? Gibt es irgendwo isolierte "Informations-Inseln" im "Unternehmens-Ozean"?

Konkrete Anwendung der ONA

Für die Analyse eines sozialen Netzwerkes gibt es viele Anlässe und Anwendungsfälle. Ganz konkret möchte ich zwei Szenarien schildern, da sie den Einsatz in Service-Organisationen betreffen:

  1. In der Methode zum Wissensmanagement im Service, "Knowledge Centered Service" (KCS®), gibt es ein Rollenmodell und eine dieser Rollen ist die der sogenannten KCS Coaches. Diese Personen agieren als change agents bei der Einführung der Methodik, sie sollen ihren Kolleg:innen beim Erlernen und Verinnerlichen der neuen Praktiken beratend zur Seite stehen. Sie sind dabei player coaches, d.h. nehmen nach wie vor ihre Service-Aufgaben wahr und sind daneben Teilzeit-Coaches. Die Gründe für die Teilzeit-Aufgabe liegen in der notwendigen Akzeptanz der Rolle - wirksame Coaches müssen aus der Mitte der Organisation kommen und genießen bereits das Vertrauen ihrer Kolleg:innen (s.o. Beziehungsgeflecht). Dazu werden in der ONA-Umfrage Fragen verwendet, die die Vertrauensbeziehung untereinander in den Vordergrund stellen.
  2. In der Methode des "Intelligent Swarmingsm" geht es darum, mittels Fähigkeitsprofile und eines Matching-Algorhythmus Personen in der Organisation zu identifizieren, die das Potential haben, eine thematisch gelagerte Kundenanfrage möglichst schnell und ohne weitere Eskalationen zu lösen. Hier wird eine ONA vorab in der Designphase des Einführungsprojektes vorgesehen, um bestehende Beziehungen zu erkennen und "natürliche" Schwarmbeziehungen in das Organisationsdesign einfließen zu lassen. Eine erneut durchgeführte ONA zu einem späteren Zeitpunkt nach der Einführung von Swarming zeigt die (Weiter-) Entwicklung der Organisationsbeziehungen auf.

Eine Organisationsnetzwerkanalyse ist also ein mächtiges Werkzeug, mit dem die Informations- und Kommunikationsstrukturen eines Unternehmens untersucht und anschließend gezielt verbessert werden können. Die Erfahrungen mit den Anwendungsfällen im Service zeigen, dass damit Verbesserungen in der Antwortgeschwindigkeit als auch in der inhaltlichen Güte der gefundenen Lösungen möglich sind.

(Knowledge Centered Service® und Intelligent Swarmingsm sind Service-Marken des Consortium for Service Innovation.)

Über den Autor

Kai Altenfelder

Kai Altenfelder ist Präsident des AFSMI GC e.V. und berät in seiner beruflichen Praxis u.a. zu Methoden von Wissensmanagement und Zusammenarbeitskultur in Service-Organisationen.