Fachkräftemangel im Service

veröffentlicht am 17.12.2022

Am Fachkräftemangel in den Servicedisziplinen wird deutlich: Viele Unternehmen haben aktuell Probleme, passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Zum einen gelingt es oft nicht, diejenigen Menschen für das Unternehmen zu begeistern, die die gestellten Anforderungen erfüllen. Andererseits bieten viele Bewerber nicht die Spezialisierung und Fach-Expertise, die sich Unternehmen wünschen. Oder aber es können Menschen mit dem gewünschten Profil zwar angestellt, aber nicht lange gehalten werden: Wo eine tiefere Bindung ausbleibt, ist die Fluktuation hoch.



In vielen Fällen kämpfen Unternehmen auch mit unmotivierten, unzufriedenen Mitarbeitern und klagen über deren fehlendes Engagement fürs Unternehmen oder über eine mangelnde Adaptationsfähigkeit der Angestellten an sich verändernde Anforderungen in ihrem Arbeitsbereich. Dies alles spricht für ein nicht passgenaues Matching von Unternehmen und Fachkräften im Recruiting-Prozess, was bis in die Unternehmenskultur hineinwirkt.

Neue Methoden im Personalwesen zeugen davon, dass bereits ein gesteigertes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines stärkeren, multidimensionalen Selbstmarketings herrscht. Ein nachhaltig agierendes Personalwesen, das strategisch auf langfristige Zufriedenheit und Bindung von Menschen setzen will, die sich gerne für das Unternehmen engagieren, muss eine zielgenaue Unternehmensbewerbung und Beziehungspflege betreiben. Nur dann kommen und bleiben die passenden Fachkräfte.

Im Oktober 2022 fand in Leutkirch eine regionale Veranstaltung des Verbund für Technologie und Bildung (vtb) zum Thema „Fachkräftemangel: Wie können Weiterbildung und Arbeitgeberattraktivität Abhilfe schaffen?“ statt. Hier diskutierten Unternehmensvertreter und HR-Experten über dieses Thema. Auszüge dieser Veranstaltung sind in diesem Blogartikel erwähnt.

Fachkräfte haben Wahlfreiheit

Der Mangel an Fachkräften hängt in bestimmten Bereichen mit den veränderten Ansprüchen von Menschen im Kontext eines gesamtgesellschaftlichen Wandels zusammen: Junge Nachwuchskräfte haben heute viel größere Wahlfreiheiten als die Generationen vor ihnen. Sie sind finanziell besser abgesichert und haben ein breiteres Spektrum an Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten: für welchen Beruf sie sich entscheiden, aber auch, welches Erwerbsmodell sie wählen und wie sie grundsätzlich zu Geld kommen.

In regelmäßigen Schüben drängen neue Generationen auf den Arbeitsmarkt, deren Kompetenzen wie auch Ansprüche sich teils stark von denen ihrer Vorgänger unterscheiden. Die Arbeitswelt, und damit die Arbeitgeber, müssen diesen Ansprüchen Rechnung tragen.

Die nebenstehende Grafik von Reflect gibt einen Überblick über die aktuell am Arbeitsmarkt teilnehmenden Generationen sowie deren vorherrschende Werte und Arbeitseinstellung.

Wo Arbeit weniger Zwang und mehr freie Wahl ist, steigen die persönlichen Erwartungen der Menschen an die Arbeit, die sie freiwillig (und nicht aus der Not heraus) wählen. Alltagspraktische Ansprüche spielen eine größere Rolle als früher. Der Wert „Arbeit“ konkurriert mit solchen wie Freizeit und Familie, die heute sogar oft einen höheren Stellenwert einnehmen. Eine entsprechende Vereinbarkeit der Arbeit mit anderen Aspekten des Lebens wird also zunehmend erwartet.

Die Bedeutung von Arbeit hat sich damit gleichzeitig gewandelt: Arbeit ist nicht mehr einfach Mittel zum Zweck, zum Geldverdienen, also reiner Broterwerb, sondern wird zu einer sinnstiftenden Tätigkeit, die aus einer intrinsischen Motivation heraus gewählt wird und die als Grundbedingung vor allem eins bieten muss: Lebensqualität. Wo ein Mangel an Bewerbern herrscht, muss also immer auch die Frage nach der Attraktivität der Arbeitsbedingungen gestellt werden.

In der Zukunft muss damit gerechnet werden, dass die neu entstehenden Märkte andere Qualifikationen seitens der Beschäftigten fordern. Es wird erwartet, dass eine Verschiebung der verfügbaren Arbeitsplätze hin zu solchen mit höheren Qualifikationsanforderungen stattfindet. Durch die verstärkte Einbindung technischer Systeme in allen Bereichen wird die sogenannte Digital Literacy, die Kompetenz im Umgang mit Technik und IT Systemen, verstärkte Aufmerksamkeit erfahren.

Aufgrund der durch neue Technologien kürzer werdenden Innovationszyklen ist es außerdem wahrscheinlich, dass die jeweils benötigten Qualifikationen sich immer schneller ändern, was von den Arbeitnehmern Flexibilität und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen fordert. Diesem Anspruch müssen in Zukunft auch die Bildungssysteme gerecht werden.

Herr Martin Roggenkamp vom Forum wbv zeigte, wie es um die Weiterbildungsbeteiligung von Fachkräften, in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg bestellt ist.

Daraus leiten sich die Kompetenzen ab, die in Zukunft benötigt werden:

    1. Technologische Kompetenzen
    2. Digitale Kompetenzen
    3. Klassische Kompetenzen
    4. Transformative Kompetenzen
    5. Lernen als Schlüsselkompetenz

Gerade die Weiterbildungsquote bei KMU ist noch ausbaufähig.

Es zeigt sich auch ein Zusammenhang zwischen Weiterbildungsaktivität und unternehmerischen Zukunftsprojekten. So haben Unternehmen, die Digitalisierungsprojekte durchführen, eine deutlich höhere Weiterbildungsquote.


Aus Arbeitgebern werden Bewerber

Heute reicht es nicht mehr, lediglich das Anforderungsprofil für eine Wunschkandidatin zu erstellen und damit nach draußen zu gehen – in der sicheren Erwartung, dass sich daraufhin die passende Kandidatin melden wird. Wo Fachkräfte sich ihren Job frei aussuchen können, können Personaler nicht mehr auf Bewerber warten, um dann aus einem Pool die Besten auszuwählen. Die Logik hat sich umgekehrt: Arbeitgeber selbst müssen zu Bewerbern bei den Arbeitskräften werden. Neue Methoden im Personalwesen wie Active Sourcing und Employer Branding zeugen davon, dass im Personalmanagement bereits ein gesteigertes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines stärkeren, multidimensionalen Selbstmarketings herrscht. Auch Maßnahmen wie Motivationsworkshops und Teambuildings zeigen, dass Unternehmen versuchen, stärker auf ihre Mitarbeiter einzugehen.

Ein Personalwesen, das strategisch daraufsetzen will, Menschen einzustellen, die sich gerne für das Unternehmen engagieren, und das nachhaltig agieren, also langfristige Zufriedenheit und Bindung garantieren will, muss eine zielgenaue Unternehmensbewerbung und Beziehungspflege betreiben. Nur dann kommen und bleiben die passenden Fachkräfte. Bis heute schauen Unternehmen und Recruiter vor allem darauf, dass Bewerber zu ihrem Anforderungsprofil passen. Künftig müssen sie auch darauf achten, dass das Unternehmen zu den Vorstellungen und Ansprüchen der Arbeitskräfte passt. Es geht hier also nicht um ein weiteres Kriterium, das ein Bewerber zu erfüllen hat, sondern andersherum müssen Unternehmen sich der kritischen Bewertung von Menschen stellen – und sich selbst reflektieren und hinterfragen können.

Herr Olaf Schwarz von den Stadtwerken am See ging dann auf die Gründe für den Fachkräftemangel ein und stellte anschließend die Rekrutierungsstrategie vor, mit denen sich die Stadtwerke bei Arbeitskräften bewerben. Dabei setzten die Stadtwerke am See auf Augenhöhe statt zu viel Seriosität. Noch wichtiger als die Rekrutierung sei die Mitarbeiterbindung.


Wertvorstellungen und gelebte Werte

Die Attraktivität eines Unternehmens wird in immer geringerem Maße durch klassische (Status-)Angebote wie Karriere, Gehalt und Incentives bestimmt. Wer Enttäuschungen im Recruiting-Prozess durch ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Vorstellungen vermeiden möchte, wer Unzufriedenheit und Unmotiviertheit oder gar Burnout bei seinen (künftigen) Angestellten verhindern und einer hohen Fluktuation vorbeugen will, für den wird es zur Pflichtaufgabe, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sich die Menschen wohlfühlen und in der sie ihre Tätigkeit als sinngebend erleben können. Nur dann kann es Unternehmen gelingen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Interesse zu wecken, nur dann sind Menschen ansprechbar und offen für Jobangebote. Und nur dann fühlen Menschen sich in einem Unternehmen wohl und arbeiten dort gerne und engagiert.

Heute spielen Werte eine bedeutende Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers. Als sinnvoll empfinden Menschen ihre Arbeit nämlich dann, wenn sie im konkreten Arbeitsalltag im Einklang mit ihren Überzeugungen arbeiten können – wenn sie also nach ihren Werten handeln können. Nur dann ist die intrinsische Motivation der Mitarbeiter geweckt, nur dann fühlen sie sich emotional involviert und sind bereit, sich für das Unternehmen persönlich einzusetzen.

Werte lassen sich dabei nicht beliebig auf die Fahnen schreiben: Ob sie wirklich oder nur auf dem Papier gültig sind, zeigt sich sehr schnell daran, ob sie gelebt werden (können) oder nicht. Und da junge Nachwuchskräfte heute in einer Welt der Werbung aufgewachsen sind, deren Mechanismen sie längst durchschaut haben, hinterfragen und prüfen sie äußerst kritisch – und lernen schnell zu unterscheiden, ob Werte nur diktiert, behauptet und reines Marketing sind, oder ob sie tatsächlich so gut im Unternehmen verankert sind, dass sie auch in Verhalten übersetzt werden (können). Personaler sollten sich deshalb auch mit den Werten ihres Unternehmens beschäftigen, den Blick nach innen wenden und sich ein Bild davon machen, was das Unternehmen bietet – und für wen das Unternehmensprofil interessant sein könnte.

Herr Jan Bühlmaier von elobau stellt in seinem Vortrag das moderne Personalentwicklungskonzept der Eloacademy vor und fordert Personalentwicklung sollte abgeschafft werden, wenn sie Menschen, die Werte schaffen, nur beschäftigt.

Erst in der gelebten Unternehmenskultur zeigen sich die tatsächlichen Werte, die in einem Unternehmen vorherrschen.


Spezifische Herausforderungen im Service

Gut ausgebildete Servicetechniker sind auf dem Arbeitsmarkt Mangelware. Die aktuell schlechte Situation wird durch noch düsterere Erwartungen für die Zukunft eingetrübt. Vor allem diejenigen Produkt- und Lösungsanbieter mit komplexen Maschinen im Portfolio sind besonders betroffen. Servicetechniker für die Reparatur, Instandhaltung und Installation dieser Maschinen sind ein essentieller Bestandteil deren Wertschöpfungskette. Je komplexer die Maschinen oder IT-Lösungen sind, desto spezialisierter müssen die Servicekräfte sein und desto schwieriger sind solche Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt zu finden.

Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die Servicetechniker beim Hersteller der Maschinen festangestellt sind oder von externen Vertragspartnern stammen. Service- Vertragspartner können einen Mangel an eigenen Mitarbeitern kompensieren, allerdings macht sich ein Hersteller mit dieser Outsourcing-Strategie abhängig von seinen Servicepartnern.

Der Mangel an Servicetechnikern ist in manchen Regionen besonders schwerwiegend. Das sorgt dafür, dass einige Unternehmen ihre Techniker über weite Strecken zu ihren Kunden schicken müssen. Dadurch entstehen nicht nur Reisekosten für das Unternehmen, sondern auch zusätzliche Wartezeiten und Kosten bei den Kunden.

Zudem sollten Hersteller beachten, dass die Zahl der benötigten Servicetechniker mit der Komplexität der verkauften Maschinen zunimmt. Werden besonders komplexe Maschinen mit vielen Funktionen oder zusätzlichen datenbasierten Dienstleistungen verkauft, wird es für einzelne Techniker schwierig, den Überblick über das gesamte System zu behalten. Falls kein interner Mitarbeiter in der Lage ist, das Produkt angemessen zu versorgen, können Firmen es eigentlich nicht verkaufen.

Die zunehmend kritische Situation ist schon seit vielen Jahren zu beobachten. Ähnlich wie im Handwerk, stufen viele junge Menschen diese Berufe als nicht besonders attraktiv ein und entscheiden sich deshalb für andere Karrieren. Vor allem jene Berufe, die starke körperlicher Anstrengungen erfordern (wie etwa auf Baustellen und in Fabriken) oder wenn Schicht-, Nacht- oder Wochenendarbeit erforderlich ist, leiden aktuell unter stark fallender Popularität. Zudem gehen immer mehr der älteren Techniker in Rente. Zusammengenommen bringt das eine zunehmende Verknappung von talentierten Kräften auf dem Arbeitsmarkt mit sich.

Das Aufkommen der neuen digitalen Technologien verstärkt diesen Trend zusätzlich. Durch deren Implementierung in viele Systeme sind Servicemitarbeiter gezwungen, sich auch auf diesem Gebiet weiterzubilden – und das ist, zusätzlich zum Tagesgeschäft, gar nicht so einfach.

Alle diese Faktoren führen zu einem Ringen um junge Talente auf dem Arbeitsmarkt, die im besten Fall sowohl mit Wissen zum klassischen Ingenieurshandwerk als auch beim Umgang mit digitaler Technologie glänzen. Bei diesem Kampf haben mittelständische Unternehmen oft das Nachsehen, da größere Firmen junge Talente durch bessere Bezahlung und Aufstiegsperspektiven leichter an sich binden können.

Falls nicht genug fähige Mitarbeiter im Service vorhanden sind, kann dies zunächst zu erhöhten Ausgaben für den Hersteller führen:

  • Hohe Reisekosten bei einer geringen Zahl von Experten
  • Hohe Reisekosten bei Ausfall von Maschinen, an weit entfernten Standorten
  • Weniger Umsatz wegen unzufriedener Kunden

Welche Maßnahmen sind möglich?

Falls Unternehmen nicht genug Servicetechniker einstellen können, hilft eine bessere Koordination der vorhandenen Mitarbeiter. Zum einen kann Software für Servicetechniker bereitgestellt werden, die Diagnosen über den Status der zu reparierenden Maschinen ausliest und den Techniker dadurch bei ihrer Arbeit unterstützt (Remote Service). Zudem können unerfahrene Mitarbeiter durch digitale Anwendungen bei der Reparatur oder Wartung von vorprogrammierter Software unterstützt werden (Wissensmanagement, Augmented Reality). Auch die Kommunikation mit erfahrenen Mitarbeitern kann zu einer schnelleren Lösung des Problems führen. Außerdem können Kundenbesuche durch die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen zumindest teilweise ersetzt werden. Dies führt zu einer Reduktion von Reisekosten und einem kurzfristig verfügbaren Service.

Hersteller sollten schon bei der Entwicklung von neuen Maschinen frühzeitig darauf achten, dass mögliche Fehler bei der Anwendung antizipiert und entsprechende Lösungen im Vorfeld entwickelt werden (Präventive und Predictive Maintenance). Was könnte zum Beispiel die Folge von einem Ausfall eines bestimmten Bauteils sein, das beim Betrieb unter hoher mechanischer Spannung steht? Die Nutzung von Fehlercodes kann vor allem die weniger gut ausgebildeten Mitarbeiter dabei unterstützen, richtige Diagnosen zu stellen und eine Reparatur erfolgreich durchzuführen.

Zusätzlich können folgende Maßnahmen von großer Hilfe sein:

  • Bereitstellung einer Datenbank mit wichtigen Reparaturanleitungen, die die Erfahrungen aller Mitarbeiter bündelt und jederzeit abrufbar ist.
  • Serviceverträge anbieten, die den Zugriff auf die Daten der Maschinen beim Kunden zu jeder Zeit erlaubt. So kann der Fehler bereits vor der Ankunft des Technikers analysiert werden. Im besten Fall kann der Kunde über eine Fernanleitung den Fehler selbst beheben.

Fazit

Der zunehmende Fachkräftemangel von Servicetechnikern sorgt für eine schwierige Situation in Unternehmen, die auf solche Mitarbeiter angewiesen sind, besonders bei mittelständischen Firmen. Der Mangel an gut ausgebildeten Technikern wird durch die Herausforderungen der Digitalisierung noch verstärkt. Wenn Unternehmen dieser Entwicklung nicht durch geeignete technologische Lösungen oder verstärkte Rekrutierung entgegensteuern, können längere Wartezeiten und eine geringere Servicequalität für Kunden die Folge sein. Dies wirkt sich mittel- und langfristig negativ auf den Umsatz des Serviceanbieters aus. Unternehmen können auch durch die effizientere Nutzung von Ressourcen mit weniger Mitarbeitern ihre Servicequalität aufrechterhalten. Lösungen können zum Beispiel speziell entwickelte IT-Lösungen für Servicetechniker oder die internetbasierte Analyse von Maschinendaten ohne Techniker vor Ort sein.


Über den Autor

Dieter Schönfeld; Vize-Präsident und Vorstand für Bildung und Forschung