Wie kann eine Serviceorganisation durch digitale Transformation erfolgreicher werden?

veröffentlicht am 24.11.2020

Hauptfragestellung dieser vom VDMA professionell durchgeführten Online-Veranstaltung war, wie Service Organisationen im deutschen Maschinen- und Anlagenbau mit ihrer digitalen Transformation vorankommen und wie sie erfolgreich werden. Zu dieser Frage berichteten mehrere gut bekannte Unternehmen dieser Branche ihre konkreten Erfahrungen. Sie zeigten auf, in welchen unterschiedlichen Entwicklungsstadien prominente Vertreter des Maschinen- und Anlagenbaus bei der Anwendung ihrer Service Strategien und darin der Digitalisierung ihrer Services stehen. Dabei ist klar zwischen neuen digitalen Leistungsangeboten und der Digitalisierung der eigenen Abläufe und Prozesse in den Dienstleistungsbereichen zu unterscheiden. In jedem Fall gilt für beide Digitalisierungsrichtungen die Konzentration auf das, was dem Kunden Mehrwert bringt.

Nach einem Einstiegsreferat aus der Kraftfahrzeug-Branche, in dem der bekannte österreichische Feuerwehrfahrzeugbauer Rosenbauer AG aus Leonding schilderte, wie er einen völlig neuen Concept Fire Truck als Baureihe RT (Revolutionary Technology) auf den Markt solcher Spezialfahrzeuge gebracht hat. Hier wurde der Ansatz gewählt, zuerst ein internes Startup und dann eine eigene Entwicklungsgesellschaft zu gründen, agile Produktentwicklung anzuwenden und Kunden von Anfang mit Open Innovation in diese Entwicklung einzubinden.

Bemerkenswert ist bei dieser Neuentwicklung, dass Service Engineers in die Produktentwicklung frühzeitig einbezogen wurden. Dieses neue hybrid-elektrische Fahrzeugkonzept wird nun auch mit einem neuen Angebotsprozess als Lösungsgeschäft vermarktet.

Während bei Rosenbauer die innovative Produkt- und Lösungsentwicklung im Vordergrund stand, folgte danach ein „Werkstattbericht“ der deutschen Geschäftsleitung der Fa. Trumpf über den aktuellen Stand der Digitalisierung der Services und der inzwischen angebotenen und verfügbaren digitalen Service Produkte. Das erklärte Ziel ist, „mit digitalen Services die Kunden zu begeistern“ und „maximalste Verfügbarkeit“ der Werkzeugmaschinen abzusichern. Dabei wird hervorgehoben, dass bei Trumpf bereits 75 % der Serviceleistungen erbracht werden, ohne Mitarbeiter auf die Reise zu schicken.

Vom Remote Support vor 10 Jahren über die Trumpf Service App, Technical Guides, Visual Assistance, Smart Parts, Data Driven Diagnosis bis zum Condition Report müssen alle geschaffenen digitalen Angebote „nachhaltigen Mehrwert für die Kunden entlang des gesamten Prozesses gewährleisten“. Auch negative Erfahrungen (z. B. verfehlte Zielgruppen) wurden verarbeitet, so dass heute digitale Werkzeuge und Leistungen erfolgreich in Service-Verträge integriert wurden, aber auch andere digitale Produkte separat vermarktet werden. Ca. ein Drittel der deutschen Kunden hat inzwischen digitale Methoden im Einsatz. Einer schnelleren Verbreitung im installierten Maschinenbestand steht aber auch älteres Equipment entgegen, dem die entsprechenden Komponenten zur Verbindung mit digitalen Services und Produkten fehlt.

Der Oberpfälzer Wellpappen-Maschinenbauer BHS Corrugated demonstrierte den Zuhörern, wie ein zu Beginn des 18. Jahrhundert gegründetes Unternehmen ein echter Vorreiter und Innovator im Maschinen- und Anlagenbau sein kann. Mit einem 50 %-igen Serviceanteil am Gesamtumsatz von ca. 600 Mio. € und einer eigenen Geschäftseinheit für die Services wurde deutlich, wie sich BHS Corrugated vom Lifecycle Service Business zum digitalen Lösungsgeschäft entwickelt. „Von klassischen Services zu Lifecycle Services und dann zur Digitalen Transformation“ und „mit Lifecycle Services als Digitalisierungstreiber zu Digitalen Lösungen und zum Wertschöpfungstreiber der Kunden“ zeigen, wie neue Kundenbeziehungen entstehen können, wenn man bereit ist, ganz neue Wege zu gehen und Lernen zu wollen.

So sind bei BHS Corrugated schon seit längerer Zeit „Pay-per-Use“ und „Pay-per-Output“ Bezahlmodelle im praktischen Einsatz. Im Gegensatz zu dem vorangegangenen Referat steht bei dieser Service Strategie statt der maximalen Verfügbarkeit die „Produktivität der Wellpappen-Produktion des Kunden“ im Vordergrund. Der Anspruch „Wir wollen einen Beitrag zur Wertschöpfung des Kunden leisten“ geht weit über das Angebot von Life-Cycle Services hinaus.

Digitale Werkzeuge – wie z. B. iCorr als digitale Serviceplattform – ermöglichen „von Daten zu Werten“ für den Kunden zu kommen. Durch die innovativen Bezahlmodelle und die aktive Übernahme von Kundenprozessen in neue Betreiber-Dienstleistungen (Managed Services) hat BHS Corrugated gelernt, „wie ein Kunde zu denken“ und einen echten Perspektivwechsel zu vollziehen, der zahlreiche weitere Innovationen hervorbringen wird.

Vom mittelständischen Maschinenbau-Unternehmen Grenzebach, das Automatisierungslösungen für verschiedenste Märkte der globalen Glas- und Baustoffindustrie schafft, erfuhren die Zuhörer wie eine Collaborative App zur Verbesserung, Erneuerung und Erweiterung des Remote Support beiträgt. So wurde Grenzebach zum ersten Ansprechpartner für den Life-Cycle der Anlagen seiner Kunden. Digitale Bestandsaufnahmen ohne Vorort-Besuch oder Inbetriebnahme von Maschinen ohne Vorort Präsenz und stattdessen mit Smart Glasses wurden möglich.

Wichtig auch hier stand am Anfang der Digitalisierung die Frage „welcher Mehrwert entsteht durch die neue Funktionalität für den Kunden?“. Seit 2 Jahren wird über Grenzebach Digital Solutions die Collaborative App auch an andere mittelständische Unternehmen vermarktet.

Vom führenden Hersteller von Maschinen und Anlagen für die Produktion und Verarbeitung von Kunststoff und Gummi, der Krauss-Maffei Group, wurde insbesondere der notwendige Kultur-Wandel im Unternehmen angesprochen, der nötig ist, um erfolgreich Kunden-Zentrierung („Walking in the Customer’s Shoes“) umzusetzen und zu leben. Dazu wurden mit dem neuen Unternehmensbereich „Digital & Service Solutions“ Lifecycle Services und Digitale Services verknüpft, statt sie – wie in anderen Unternehmen – in separaten Bereichen zu führen. Es entstand in 2 Jahren ein Strauß moderner Dienstleistungsbündel, z. B. Maintenance4You, Productivity4You, Usability4You.

Viel Kraft war nötig, um bisher separat agierende Abteilungen zusammenarbeiten zu lassen. Gerade für das Skalieren von Leistungen wird die Zusammenarbeit langjähriger Erfahrungen und neue Ansätze gemeinsam benötigt. Schnelle Erfolge mit Kundenbeispielen können alle richtig motivieren. Ein dedizierter Service Vertrieb für Lifecycle Services und digitale Produkte wurde aufgestellt und vom Produktmanagement geschult. Mainenance4You, das Remote Assist Angebot ist auch durch die aktuelle Pandemie schnell verbreitet worden. Productivity4You, ein Monitoring und Kommunikations-Werkzeug für den Schichtleiter des Kunden, hat erste Testkunden und Usability4You, das Subskriptions-Angebot, ist noch ganz frisch am Markt. Diese Erfahrungen müssen weiter beobachtet und verarbeitet werden.

Das jüngste Unternehmen, die Firma EOS, einer der weltweit führenden Technologieanbieter im industriellen 3D-Druck, zeigte wie auch in einer „jungen“ Firma Digitalisierung der Service Organisation ein „Marathon“ sein kann und das „Durchhaltevermögen“ vonnöten ist. Eine klare Liste der „Lessons learned“ wurde mit den Zuhörern offen geteilt.

Daraus ein paar Auszüge: das Top Management Engagement, das Kombinieren von Service Vision und IT-Strategie, die Kombination von Service Vision und Produkt Strategie, Service-eigene dedizierte IT-Produkt und Software Ressourcen, KPI’s zu Messung des „digitalen Erfolgs“ sowie eine Skill Transformation für IT, Software und Data Science in der Service Organisation. Persönliche Initiativen zur Findung von „Mitstreitern“ in angrenzenden Bereichen sowie spezielle Motivationsmaßnahmen für Servicetechniker im Außendienst, die nicht alle gleich digitale Veränderungen begrüßen.

Der abschließende Erfahrungsbericht kam von Zeppelin Power Systems, dem Vertrieb und Service von Antriebs- und Energiesysteme auf Basis moderner Caterpillar Motoren der Marken Cat und MaK. Auch bei Zeppelin waren zahlreiche Transformations-Schritte bei der Schaffung digitaler Produkte und Dienstleistungen notwendig, von denen hier nur ein paar genannt werden sollen. Zum Beispiel müssen langlaufende und Full-Service-Verträge modularisiert werden, um klassische Leistungen und digitale Produkte für den Kundennutzen zu kombinieren.

Das Gleiche gilt für Performance-basierte Logistik-Verträge. Externe Werte neben den Motoren-Daten (z. B. Pegelstände, Schleusen und Hotellerie-Daten) sind einzubinden. Wichtige Erkenntnis „Wir haben den Kundennutzen nicht von Anfang an getroffen. Heute trennen wir sehr stark zwischen dem Nutzen, den wir als Organisation aus Daten ziehen können, und dem Datennutzen, den wir unseren Kunden anbieten können. Auch hier gab es eine Liste von Tipps für die Vermarktung digitaler Lösungen.

Am Ende ließen sich alle „Learnings“ dieser Tagung so zusammenfassen:

  1. Digitalisierung ist nicht aufzuhalten. Sie verändert alles.
  2. Die aktuelle Pandemie ist ein Treiber, der auch neue Normalitäten schafft. Gewohnheiten brechen weg und es müssen neue Maßnahmen gefunden und ergriffen werden.
  3. Dazu ist Kreativität gefordert und Out-of-the-Box Denken. Menschen finden, die innovative Wege mitgehen.
  4. Digitalisierung kostet Geld und braucht Zeit.
  5. Und Durchhaltevermögen
  6. Motor der Veränderung sind wir in den Service Organisationen! Das Kombinieren technologischer Fähigkeiten, das Mitnehmen aller Mitarbeiter und eine gute Kommunikation auf allen Ebenen.
  7. Wir brauchen einen Fahrplan (eine Roadmap) für die Digitalisierung von Service Organisationen und dürfen dabei die Prozesse nicht vergessen!

Über den Autor

Wilhelm Taurel
AFSMI Mitglied
E-Mail: w.taurel@afsmi.de